Ist Seelenverwandschaft besser als Blutsverwandschaft?

Blutsverwandschaft kann sowas von nerven!

Aber die Seelenverwandten, die tun dir gut, richtig? Sie sind einfach nicht so anstrengend, verstehen dich und halten zu dir.

Aber wenn ich dir jetzt sage, dass es an deiner inneren Überzeugung und Einstellung liegt, dass du es so erlebst? Und verstehe mich nicht falsch. Ich weiß, dass du deine Gründe hast. Ich weiß, dass Eltern, Geschwister, diese eine Tante oder der eine Onkel einfach zu weit gegangen sind. Dass einige Familienmitglieder ohnehin völlig andere Interessen haben als du.

Daran will ich auch gar nicht rütteln!

Ich will nur, dass du ehrlich zu dir bist. Denn nur dann, kannst du die unerträgliche Lage, in der du dich gerade befindest, anpacken und beeinflussen.

Stell dir bitte folgende Fragen:

  1. Seit wie vielen Jahren kennst du die Personen, die du als Seelenverwandte bezeichnest und seit wie vielen Jahren kennst du deine Familie? Schreib es ruhig auf, mit dem Namen je einer Seelenverwandten Person, die dir ganz besonders nahe steht, und einer Blutsverwandten, die du gerade am liebsten auf den Mond schießen würdest.
  2. Jetzt denke an die intensivste zeitliche Nähe, also einen Abschnitt in deinem Leben, an dem du besonders viel Zeit mit den beiden verbringen durftest/musstest. Schreib es auf (Bei Eltern oder Geschwistern waren es vielleicht über Jahre 24 Stunden, 7 Tage die Woche).
  3. Überlege, ob du eine Seelenverwandte Person kanntest, die dich bitter enttäuscht hat und ob es ein Familienmitglied gibt, dass dich sehr positiv überraschen konnte.

Ich will darauf hinaus, dass du mit jedem Menschen Konflikte haben kannst. Wie stark die sind kommt auf die Intensität eurer Beziehung an. Mit niemandem würdest du ein Jahr 24 Stunden, 7 Tage die Woche gut auskommen. Umgekehrt würdest du aber selbst mit deinem Erzfeind einige positive Momente erleben und Gemeinsamkeiten entdecken, wäret ihr so lange gezwungen zusammen zu sein.

Hast du mit jemandem Streit, würde ich mich freuen, dass du in Erwägung ziehst, die nächsten 3 Kontakte, die du mit dieser Person hast:

1. nichts von ihr zu erwarten. Nicht gut, nicht schlecht. Konzentrier dich zu 100% auf dich.

2. Schließ vor dem Kontakt die Augen. Lege eine Hand auf dein Herz und eine auf deinen Bauch und konzentriere dich auf deinen Atem. Suche in deiner Erinnerung, nach Gutem in eurer Beziehung, so schlecht sie auch sei. Such dir das raus, was du am wenigsten schlecht findest und am ehesten an der anderen Person achten könntest.

3. Übe zu Hause allein verschiedene Tonlagen, in denen du sprichst. Dafür stellst du dir verschiedene Personen vor(solche die du liebst, vielleicht auch dein Haustier, wenn du das besonders gerne hast, und andere die du nervig oder unverschämt findest). Stell sie dir vor, als seien sie da und du wolltest mit ihnen reden. Am Besten nimmst du dich selbst auf. Hör dir deine Stimme an und stell dir vor, jemand würde mit dir in dem Ton reden. Was fühlst du? Schreib es am Besten auf.

4. Übe das nächste Treffen mit der verhassten Person vor dem Spiegel. Schau möglichst freundlich. Setz ein vorsichtiges, aber warmes Lächeln auf und sprich in einer angenehmen Stimme.

Falls die Person dich sehr verletzt hat, ist es völlig ok, dass du Distanz wahrst! Vertrau auf dein Bauchgefühl, was sich für dich gut anfühlt. Natürlich gibt es Wunden, die Zeit brauchen zu heilen und niemand wird dich jemals richtig schützen außer dir selbst. Aber dafür bereitest du das Ganze ja vor und wägst ab. Damit du Klarheit darüber bekommst, wo deine Grenzen sind.

Aber das ist sogar das allerwichtigste!

Nur DU kannst wirklich für deine Grenzen einstehen. Ein anderer Mensch kann oft gar nicht einschätzen, wo deine Grenzen überhaupt sind. Lässt du dir alles gefallen ist das genauso schädlich für eure Beziehung als wenn du zu hart bist.

Steh für dich ein. Aber mit Respekt!

Das Hauptproblem in fast allen Konflikten ist nämlich, dass wir unsere eigenen Grenzen nicht kennen. Manchmal sagen wir dann aus Angst zu früh Stopp und blocken alles ab, damit gar nicht erst die Möglichkeit besteht, verletzt zu werden.

Andere Male ist uns eine Beziehung so wichtig, dass wir es gut meinen und mehr geben als sich im Nachhinein gut anfühlt.

Aber genau das wollen wir lernen: Nicht erst im Nachhinein so ein komisches Gefühl zu bekommen, sondern in der Situation uns selbst die Zeit zu gönnen, in uns hinein zu horchen. Eine Hand aufs Herz und eine auf den Bauch legen und erfühlen, bis wo wir uns in dem Moment wagen wollen und wo die momentane Grenze liegt.

Verzeih dir, wenn es mal nicht geklappt hat. Auf die innere Stimme zu hören ist lernbar. Und wie alles, das man lernen kann, ist man nicht beim ersten oder dritten Mal schon Profi. Aber jedes Mal, das man es versucht, ist es wert. Weil man draus lernt und es auf Dauer besser klappt. Egal, ob das einzelne Mal ein Erfolg oder ein Flop war. Aus beidem werden wir schlauer!

Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, dass auch du auf einmal feststellst, wie viele Seelenverwandte sich doch in deiner Familie befinden. So ging es mir in den letzten Jahren. Und letzten Freitag zur Beerdigung meines letzten Großelternteils geschah ein großes Wunder. Eine 92-jährige Dame entschuldigte sich für ein Verhalten, das über ein halbes Jahrhundert für so viel Schmerz gesorgt hatte… und irgendwie… einfach weil die Anwesenden offen dafür waren, entstand aus einer Trauergesellschaft, die sich so lange Zeit abgrundtief gehasst hat, wieder eine Familie. Eine Familie, die trotz aller Ecken und Kanten, einander anlächeln, in den Arm nehmen. Und Menschen, die Jahrzehnte nicht miteinander geredet hatten, haben einander versprochen sich hoffentlich bald zu besuchen.

Und damit kommen wir endlich zu

5. Warte nicht bis zu einer Beerdigung. Hast du jahrelang mit irgendjemandem aus deiner Familie nicht gesprochen. Schreib dir selbst deine Gefühle von der Seele: Schreib auf, was dich so wütend gemacht hat, was dir Angst macht, was dich traurig macht und wofür du dich vielleicht schämst (und sei es nur, dass du vor Jahren nicht klar, aber eben freundlich, für deine eigenen Grenzen eingestanden bist) und wenn du alles aufgeschrieben hast, such eine Zukunftsperspektive, die für dich angenehm wäre. Respektvolle Distanz? Nähe? Brauchst du eine Entschuldigung, frag dich wie realistisch es ist. Du hilfst dir selbst kein Stück, wenn du an Dingen festhältst, die mit aller Wahrscheinlichkeit nie passieren werden. Such nach einer realistischen Perspektive, die sich besser anfühlen würde, als was jetzt ist.

Was ist dein Ziel?

Mach dir das klar und mach den ersten Schritt!

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